Gewählte Migrant*innenbeiräte! Das Gebot der Demokratie

Resolution der Vollversammlung der Delegierten der AGABY am 26. Juni 2022 in Augsburg

Demokratie zu verteidigen, zu stärken und für alle zugänglich zu machen, gehört zu den wichtigsten aktuellen Forderungen, die angesichts zunehmender demokratiefeindlicher Bestrebungen an Politik und Zivilgesellschaft gestellt werden. Denn noch nie war es so wichtig, alle für ein solidarisches und demokratisches Miteinander in Vielfalt zu gewinnen.

Unsere Gesellschaft ist eine Gesellschaft mit einem erheblichen Bevölkerungsanteil mit eigener oder familiärer Migrationserfahrung. Ein Blick auf die Parlamente und demokratischen Institutionen zeigt die absolute Unterrepräsentanz von Migrant*innen in den Institutionen.
Eine große Ungleichheit ist auch beim passiven Wahlrecht vorhanden. Während deutsche Staatsangehörige, und damit auch die Eingebürgerten, das volle Wahlrecht haben, steht den EU-Bürger*innen zumindest das kommunale Wahlrecht zu. Ein bedeutender Teil der Bevölkerung ist von jeder demokratischen Beteiligung durch Wahlen ausgeschlossen (München 15,32%, Nürnberg 14%, Augsburg 12,3%).

Um diesem Demokratie-Defizit zu begegnen, halten wir weiterhin die Erleichterung der Einbürgerung, die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit und die Einführung des kommunalen Wahlrechts für alle für notwendig.
Darüber hinaus stellen die Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräten als kommunale Migrant*innenvertretungen wichtige politische Gremien dar. Sie bringen die Interessen und Perspektiven einer großen Bevölkerungsgruppe in den demokratischen Entscheidungsprozess ein. Die Beiräte ermöglichen mit ihren Netzwerken den Kontakt zwischen kommunaler Politik und Verwaltung und migrantischen Bürger*innen. Die Beiräte sind Orte, an denen für viele Migrant*innen zum ersten Mal politische Mitwirkung erlebbar wird. Sie fördern aktives zivilgesellschaftliches Engagement. Zudem stellen die Beiratswahlen für viele Menschen in unserem Land die einzige Wahlerfahrung und die einzige Möglichkeit dar, eine eigene politische Interessensvertretung selbst zu wählen.

Für die dritte und vierte Generation der einstigen Migrant*innen ist zwar formal der Zugang zu politischen Institutionen möglich, insbesondere wenn sie eingebürgert sind. Die Parteien zeichnen sich allerdings eher durch veraltete Strukturen als durch Offenheit für Vielfalt aus.
Die Integrationsbeiräte bleiben jedoch, gerade in Zeiten zunehmender Neuzuwanderung, wichtige Orte politischer Demokratieerfahrung und Entwicklung von Vielfaltsstrategien. Hier werden neue Impulse, Ideen und Perspektiven in die Strukturen vor Ort eingebracht. Konflikte können unter demokratischen Spielregeln bearbeitet werden.

Betroffene selbst artikulieren die Probleme und Bedarfe und arbeiten gemeinsam mit Fachleuten und Verwaltungen an der Entwicklung von Lösungen.

In Bayern bedeuteten die Einrichtung von Beiräten schon immer eine kontroverse Auseinandersetzung mit den politischen Parteien, die eine politische Einmischung der Migrant*innen für überflüssig hielten. Nun beobachten wir mit großer Sorge, dass an manchen Orten Verwaltungen und auch politische Parteien, die grundsätzlich an Partizipation glauben, die gewählten Beiräte durch ernannte Expertengremien ersetzten wollen. Sie sind der Ansicht, sie selbst wüssten besser als Migrant*innen, wer migrantische Interessen vertreten soll.

Als Argumente gegen die Wahl der Integrationsbeiräte werden vorgebracht: Kosten und Aufwand für die Verwaltung, geringe Wahlbeteiligung, teilweise unengagierte Beiratsmitglieder, vereinzelte Fälle der Wahl von extrem rechten oder fundamentalistischen Kräften in den Beirat.

Diese Argumente fordern Gegenfragen heraus: Wieviel darf Demokratie kosten? Ist keine Wahlbeteiligung demokratischer als eine geringe Wahlbeteiligung? Sollten auch der Bundestag und Stadträte abgeschafft und durch Expertengremien ersetzt werden, da es auch dort passive Mitglieder ohne Fachwissen gibt sowie Vertreter*innen extrem rechter Parteien?

Unsere Antwort lautet:
Um Demokratie zu stärken gibt es keine Alternative als die Demokratie zu erweitern.

AGABY macht die Erfahrung, dass durch geeignete Satzungen viel erreicht werden kann.
Die Festlegung einer entsprechenden Sitzverteilung sollte eine repräsentative Vertretung unterschiedlicher ethnischer und sozialer Gruppen im Beirat sicherstellen. Dann kann ein sehr engagiertes, kompetentes und diverses Gremium gewählt werden, das wertvolle Arbeit leistet und die Kommune gut berät. Wir bieten unsere Erfahrungen mit Beiratssatzungen und Wahlordnung allen Kommunen an, die eine Optimierung einer partizipativen Integrationsarbeit anstreben.

Wir fordern:

  • Die Gesetzliche Verankerung der gewählten Migrantenvertretungen auf kommunaler, Landes- und Bundesebene und flächendeckende Einrichtung von Beiräten;
  • Mehr Ressourcen für die Sichtbarmachung der Beiräte, die Vorbereitung der Wahlen und die Mobilisierung der Wahlberechtigten;
  • Die Unterstützung von antirassistischen und demokratischen Migrantenorganisationen, die unabhängig von Herkunftsländern arbeiten;
  • Hände weg von Beiratswahlen!
  • Zurück zu den Direktwahlen, die vorhandenen Erfahrungen der gewählten Beiräte und der AGABY hierbei nutzen.

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