Resolution: Die Folgen der Corona-Pandemie und die ungleiche Verteilung der Lasten

Seit über einem Jahr bestimmt ein Virus unser Leben, ein Virus, das wir so nicht kannten und über das wir immer noch nicht alles wissen. Ein Virus mit ständig negativen Überraschungen, das krank macht, tötet, ins Abseits drängt, die Freiheit einschränkt, Bildung auf das Abstellgleis befördert und die Bevölkerung spaltet.


Arbeit und Soziales

Als selbstverständlicher Teil der Einwanderungsgesellschaft tragen Migrant*innen und Menschen mit Migrationsgeschichte die große Last der Pandemie mit. Sie arbeiten in vielen systemrelevanten Berufen als Ärzt*innen, Pflege- oder Reinigungskräfte in den Krankenhäusern, im Lebensmittelhandel, im Transportwesen oder in der Industrie, oft unter dem Risiko der Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit.

Alle sozial benachteiligten Menschen, unter ihnen viele Menschen mit Migrationsgeschichte, sind von den Folgen der Pandemie im besonderen Maße betroffen:

Ein großer Teil der Arbeitnehmer*innen und Menschen in systemrelevanten Berufen können nicht im Homeoffice arbeiten, oft müssen sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen. In vielen Bereichen fehlt immer noch die regelmäßige Testmöglichkeit und der ausreichende Infektionsschutz in Form von Maske/ Schutzkleidung, aber auch die Möglichkeit Abstände einzuhalten.

Auch von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind Migrant*innen in besonders hohem Ausmaß betroffen, darunter Selbständige, prekär Beschäftigte der Gastronomie oder in Minijobs Beschäftigte.


Bildung

Schüler*innen tragen in der Pandemie enorm schwere Folgen. Auch hier treffen die Pandemie-Bedingungen und Einschränkungen Kinder aus benachteiligten Familien im Allgemeinen und migrantische Familien insbesondere hart.

Das Homeschooling wird durch enge Wohnverhältnisse und fehlende technische Ausstattung erschwert oder unmöglich. Dies gilt insbesondere für Kinder in Geflüchteten-Unterkünften, die oftmals weder Wlan noch ein Endgerät besitzen. Sprachbarrieren hindern die Eltern daran, ihre Kinder ausreichend unterstützen zu können. Ständig wechselnde Unterrichtsformen und Regelungen stellen zusätzliche Probleme dar.

Diese, seit über einem Jahr anhaltende Situation, hat dazu geführt, dass viele Schüler*innen den Anschluss verlieren und große Bildungslücken entstehen.
Auch in Ausbildungsberufen gibt es viele Defizite durch die Online-Regelungen, viele praktische Inhalte konnten nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden.

Das eingeschränkte Angebot an Integrationskursen und fehlende soziale Kontakte haben auch bei Erwachsenen den Erwerb von Deutschkenntnissen erschwert und Rückschritte bei bereits erworbenen Kompetenzen verursacht.


Gesundheitsschutz

Im Gesundheitsschutz sind sozial benachteiligte Menschen und darunter auch viele Menschen mit Migrationsgeschichte die Verlierer.
Informationen zum Infektionsschutz, die häufig aktualisiert werden, kommen bei einem Teil der Migrant*innen  nicht an. Zum Teil bestehen Missverständnisse und Fehlinformationen, nicht zuletzt aufgrund von Sprachbarrieren.
Fehlendes Wissen erhöht die Infektionsgefahr, da Schutzmaßnahmen, Quarantäne-Regelungen und Verhalten im Fall einer Ansteckung nicht oder unzureichend bekannt sind. Lange Zeit fehlten mehrsprachige Informationen oder erreichten die Zielgruppen nicht.

Die Pandemie hat nochmals gezeigt, dass kleine und dezentrale Unterbringung den großen Geflüchteten-Unterkünften und AnKerzentren vorzuziehen sind. Menschen in den großen Flüchtlingsunterkünften lebten monatelang in Angst und Sorge um ihre Gesundheit, da sie in den engen Wohnverhältnissen mit gemeinsamen sanitären Anlagen ohne die Möglichkeit Abstand zu halten und sich schützen zu können, z. T. in wochenlanger Quarantäne verharren mussten. Gleichzeitig Ziel wurden sie zum Ziel rassistischer Anschuldigungen wurden, wenn Ausbrüche die Inzidenzzahlen in die Höhe schnellen ließen.

Die fehlende interkulturelle Ausrichtung der Gesundheitspolitik ist in der Pandemie sichtbar geworden. So sind Migrant*innen erst spät als Adressat*innen der Informationen zum Infektionsschutz, Testmöglichkeiten und Impfungen in Blick genommen worden. Vielerorts sind rassistische Reaktionen im Zusammenhang mit dem Infektionsgeschehen zu beobachten. Migrant*innen werden zur Zielscheibe der allgemeinen Unzufriedenheit und werden für die Verbreitung der Pandemie verantwortlich gemacht.


Integrationsbeiräte und Migrantenselbstorganisationen

Vielen migrantischen Vereinen fehlen die Einnahmen des gastronomischen Betriebs und Vermietungserlöse, wodurch sie zunehmend in finanzielle Not geraten. Sie sind von Corona-Hilfen ausgeschlossen, die z. B. deutsche Trachtenvereine erhalten. Und dies, obwohl die Vereine gerade in Pandemiezeiten wichtige Aufgaben in der Betreuung, Unterstützung und Stabilisierung ihrer Mitglieder erfüllen. Dies gilt auch für die Integrationsbeiräte, die vielfach von den Sparmaßnahmen der Kommunen betroffen sind.
 

Rassismus und Pandemie

Der in Folge der Pandemie entstandene wirtschaftliche, soziale und psychische Druck wird von rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Kräften ausgenutzt, die mit Verschwörungsmythen Hass und demokratiefeindliche Positionen verbreiten.

Ob rassistische Angriffe auf asiatisch gelesene Menschen zu Beginn der Pandemie, antisemitische Verschwörungstheorien, oder migrantenfeindliche Stimmungen, Rassismus ist ein hässlicher Begleiter der Pandemie. Aufgrund der zu erwartenden ökonomischen und sozialen Herausforderungen werden wir auch nach der Pandemie wachsam bleiben und den sozialen Zusammenhalt stärken müssen. Glücklicherweise sind für nachbarschaftliche Solidarität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Pandemie ebenfalls gute Vorbilder entstanden, die es zu stärken und zu bewahren gilt.
 

Wir fordern:

Eine gerechte Verteilung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und Hilfsprogramme für sozial Benachteiligte und Menschen mit Migrationsgeschichte;

Dem staatlichen Bildungsauftrag hohen Wert einräumen und jedes Kind berücksichtigen;

Strukturelle Maßnahmen, um entstandene Bildungslücken aufzuholen und die sozialen und psychischen Folgen der Isolation aufzufangen: Förderunterricht, kleine Gruppen, differenzierte Methoden, Ausbau von Sprach-Förderprogrammen.
Dafür bedarf es zusätzlicher Mittel und Personals für die schulische und außerschulische Bildung und spezifischer Angebote für sozial benachteiligte Schüler*innen. Das beschlossene Unterstützungspaket von 100 € ist hier unzureichend.

Ermöglichung von Homeschooling in Geflüchteten-Unterkünften durch angemessene Ausstattung mit Wlan und Endgeräten;

Entwicklung von Programmen für die Sommerferien und das Winterhalbjahr durch Kultusministerium und Jugendhilfe;

Entwicklung umfassender Konzepte für den Gesundheitsschutz in der Einwanderungsgesellschaft: mehrsprachige Informationsmaterialien und zielgruppenspezifische Kommunikationskonzepte, die die sozialräumlichen Strukturen reflektieren;

Bereitstellung von niederschwelligen Test- und Impfangeboten und kostenlosen FFP-2-Masken in dicht besiedelten und sozial benachteiligen Stadtteilen;

Finanzielle Nothilfen für migrantische und interkulturelle Vereine;

Finanzielle Unterstützung der Landesregierung für die Kommunen, um Sparmaßnahmen im Integrationsbereich und bei Integrationsbeiräten zu verhindern

Förderung des Engagements gegen Rassismus, Diskriminierung, Hass und Gewalt und für Solidarität, gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine vielfältige Demokratie;

Umfassendes Konzept für Gesundheitsschutz in den Unterkünften für geflüchtete Menschen, vor allem in Massenunterkünften, die sich in der Pandemie einmal mehr als sehr problematisch erwiesen haben.

Umfassende gesundheitliche Aufklärung sowie eine Informations- und Impfkampagne in Geflüchteten-Unterkünften. Dabei sollen Freiwillige mit Migrationsbiographie einbezogen werden, um geflüchtete Menschen in ihren Muttersprachen sensibilisieren zu können. Sowie Impfangebote und medizinische Beratung in den Unterkünften durch mobile Ärzte-Teams.

Mehrsprachige Informationsangebote für Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt aufgrund der Pandemie wurden. Intensivierung und mehrsprachige Verbreitung der Informationen über Hilfshotline von gewaltbetroffene Frauen und Kinder. Höhere Kapazitäten von und Erhöhung der mehrsprachigen Angebote in Schutzeinrichtungen für Betroffene häuslicher Gewalt.

Erhöhte Sensibilität für die Bedarfe und Verbesserung der Angebote für Menschen mit Behinderung, z. B. für gehörlose Kinder.

 


Beschlossen von der Vollversammlung der AGABY, im digitalen Raum, 27.06.2021