Wir, die Migrations- und Integrationsbeiräte Bayerns beobachten mit großer Sorge die falsche Debatte um Migration und die Asylpolitik in Deutschland.
Deutschland hat in den letzten Jahren vielen geflüchteten Menschen Schutz vor Krieg und Verfolgung gewährt. Das bedeutete und bedeutet weiterhin Engagement und Solidarität von Tausenden von Haupt- und Ehrenamtlichen in den Städten und Landkreisen. Sie organisieren die Unterbringung, Betreuung und Bildungsangebote.
Ein Teil der Kommunen meldet Erschöpfung und verlangt vom Bund Entlastung. Statt jedoch mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen und die Geflüchteten besser in Europa zu verteilen, werden teilweise die rassistischen Sprüche der Populisten und Rechtsextremen übernommen. Geflüchtete Menschen werden mit Kategorien wie „illegale Migration“ kriminalisiert. Eine verschärfte Asylpolitik und Druck auf Geflüchtete werden als Lösung angeboten: Abschiebungen, Bezahlkarten, Arbeitspflicht.
Wir, die wir seit Jahren in diesem Bereich arbeiten, wissen aber, dass diese Maßnahmen nur Scheinlösungen sind. Sie erschweren die Situation geflüchteter Menschen und die Integration. Sie schaden dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und einer zu Menschenrechten verpflichteten Demokratie.
Abschiebungen
Die Bundesregierung und die Innenministerien haben mehrfach ihren Willen bekräftigt, so viel wie möglich abzuschieben. Sogar der Erfolg der Migrationspolitik soll an der Zahl der Abschiebungen gemessen werden. Dabei steht die Abschiebepolitik im Widerspruch zu einer rationalen Politik. Die Zahl möglicher Abschiebungen ist nicht nennenswert. Viele Geflüchtete können nicht abgeschoben werden, weil ihnen in den Herkunftsländern Gefahr für Leib und Leben droht, oder die Länder sie nicht aufnehmen. Andere können aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden, z.B. weil sie krank sind und eine Abschiebeprozedur für sie lebensgefährlich wäre.
Eine tatsächlich große Zahl an Abschiebungen wird also nicht erreicht werden. Jedoch sorgt die Ankündigung für massive Angst und Verunsicherung unter Geflüchteten.
Der Abschiebestopp für iranische Geflüchtete ist aufgehoben worden, obwohl die Sicherheitslage im Iran sich nicht verbessert hat. Mit massenhaften Hinrichtungen, brutaler Repression gegen Frauen, Männer und Minderheiten, vollen Gefängnissen und Folter versucht das Regime die unzufriedene Bevölkerung in Schach zu halten. Iraner*innen, die diesem Regime entkommen sind, muss verlässlicher Schutz angeboten werden. Abschiebungen in den Iran sind unverantwortlich!
Auch Abschiebungen in den Irak sind auf der Tagesordnung. Beispielsweise sind zwei gut integrierte Schüler aus dem Landkreis Bamberg abgeschoben worden, die sogar eine Zusage und Verträge für eine Ausbildung hatten. Jedoch wurde die Duldung nicht mehr verlängert. Diese jungen Menschen mussten in ständiger Ungewissheit leben. Trotzdem haben sie ihren Bildungsweg fortgesetzt und konnten sogar Ausbildungsplätze in der Pflege und im Einzelhandel finden. Solche Abschiebungen sind nicht nachvollziehbar, weil die Betroffenen seit Jahren hier sind, die Sprache gelernt haben, und auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt werden.
Mit dem Schicksal von Betroffenen darf nicht leichtfertig gespielt werden. Abschiebungen sind zwar rechtstaatlich vorgesehen. Aber im aktuellen politischen Diskurs und unter dem aufgebauten Druck auf Behörden, kann nicht für die Sorgfalt garantiert werden, die nötig wäre, um keinen Fehler zu machen. Nicht selten wurden Abgeschobene in Afghanistan Opfer von Gewalt. Nicht selten versuchen sich Betroffene das Leben zu nehmen, um nicht in das für sie gefährliche Land abgeschoben zu werden.
Die Abschiebepraxis verletzt rechtsstaatliche Standards.
Wir fordern:
- echte Lösungen und Unterstützung für Kommunen in ihrer Integrationsarbeit, statt die Scheinlösung Abschiebepolitik;
- den sofortigen Abschiebestopp in den Iran und Irak und alle Länder, in denen Gefahr für Leib und Leben der Schutzsuchenden besteht. Hierzu verlangen wir die genaueste Prüfung jedes Einzelfalles;
- ein Bleiberecht für alle gut integrierten Geflüchteten, die auf dem Arbeitsmarkt dringend benötigt werden.
Bezahlkarte
Eine weitere neue Scheinlösung ist die Einführung einer Bezahlkarte. Mit dieser Karte können Geflüchtete nur noch auf einen kleinen Teil des ihnen als Existenzminimum zur Verfügung stehenden Betrages verfügen und sollen keine Überweisungen tätigen können. Das Konzept bedeutet eine weitere Schikane für Geflüchtete und wird offen als „Abschreckungsmaßnahme“ bezeichnet. Bayern hat einen noch schärferen Kurs bei der Nutzung der Bezahlkarte für Geflüchtete angekündigt und weicht von den bundesweit vereinbarten Standards ab.
Die Bezahlkarte bringt Einschränkungen mit sich, die den Alltag und die Integration der Betroffenen erheblich beeinträchtigen. Die Karte wirft Fragen nach Praktikabilität und sozialer Gerechtigkeit auf: Wie sollen Zahlungen für schulische Aktivitäten der Kinder erfolgen, wie medizinische Zuzahlungen und notwendige Rechtsdienstleistungen getätigt werden? Wie soll die Passausstellung geregelt und in Spezialgeschäften bezahlt werden?
Geflüchtete werden in der Selbstbestimmung in Bezug auf ihre finanziellen Mittel und ihre Teilhabe am sozialen Leben beschränkt. Sie werden von wichtigen Ressourcen und Unterstützungsnetzwerken isoliert. Das erschwert die Integration.
Die politischen Beweggründe für diese Verschärfung in der Flüchtlingspolitik sind haltlos.
Die allergrößte Mehrheit der Geflüchteten flieht, um zu überleben und in Würde zu leben. Eine Einschränkung ihres Existenzminimums wird sie nicht von der Flucht abhalten. Wir fragen uns, woher die politischen Entscheidungsträger*innen ihre Informationen beziehen. Geflüchteten wird unterstellt, sie würden zulasten der Steuerzahler ihre geringen Sozialleistungen ins Ausland überweisen. Auf solchen Behauptungen beruhen die Neuregelungen und legitimieren diskriminierende Einschränkungen für Geflüchtete und polarisieren den gesellschaftlichen Diskurs.
Auch das Argument der Entlastung der Kommunen ist nicht nachvollziehbar. Ein bargeldloser Zahlungsverkehr und die Digitalisierung der Auszahlungen an Geflüchtete, wie sie bereits in vielen Kommunen praktiziert wurde, hätten tatsächlich entlastet. Die Bezahlkarte mit ihren Einschränkungen nicht. Inzwischen wurden zahlreiche praktische Probleme festgestellt, nun sollen die Karten im Einzelfall für Überweisungen und Daueraufträge freigeschaltet werden. Das bedeutet für Kommunen einen erheblichen Aufwand.
Bayern geht einen Sonderweg. Wir fordern den Landtag auf, einen bayerischen Sonderweg der Wahrung der Menschenwürde und Integration zu gehen. Es soll eine Umsetzung erfolgen, die sowohl die Sicherheitsbedenken berücksichtigt als auch die Würde und die Bedürfnisse der betroffenen Menschen respektiert.
Arbeitspflicht für Geflüchtete
Die Debatte um die Arbeitspflicht für geflüchtete Menschen ist eine Täuschung der Öffentlichkeit. Denn sie suggeriert, Geflüchtete wollten nicht arbeiten und müssten dazu gezwungen werden. Das Gegenteil ist der Fall. Geflüchtete müssen in der Regel darum kämpfen, arbeiten zu dürfen. Auch ehrenamtlich leisten tausende Geflüchtete bereits gemeinnützige Arbeit. Somit ist auch die Forderung nach Arbeitspflicht nur im Kontext der geflüchtetenfeindlichen Debatten zu verstehen. Benötigt wird der erleichterte Zugang zum Arbeitsmarkt, z. B. durch schnellere Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen, bessere Beratungs- und Vermittlungsstrukturen sowie Angebote von Deutschkursen und berufsbegleitender Deutschförderung.
Den Geflüchteten Möglichkeiten zu gemeinnütziger Arbeit anzubieten, kann in bestimmten Phasen sinnvoll sein. Dies muss aber freiwillig bleiben. Zwangsarbeit ist unserer Demokratie nicht würdig.
Gut qualifizierte oder junge lern- und qualifizierungswillige Geflüchtete dürfen nicht in den Eineuro-Jobbereich geschoben werden. Denn das bedeutet eine unzulässige Ausbeutung oder die Verhinderung von mittelfristig sinnvoller Weiterqualifikation und der Integration auf dem Arbeitsmarkt.
Wir fordern:
- die Aufhebung von Arbeitsverboten für Geflüchtete;
- einen verbesserten Zugang zum Arbeitsmarkt durch bessere Beratungsstrukturen zu beruflicher Laufbahnberatung (Anerkennung von Abschlüssen und Qualifikationen, Möglichkeiten der Weiterbildung, Deutschförderung, etc.)
- eine verantwortliche und aufrechte Haltung der Politik gegenüber geflüchtetenfeindlicher Hetze;
- eine echte Unterstützung für die Kommunen statt diskriminierender Scheinlösungen, die den rassistischen Diskurs stärken.